#362: Zwischen Espresso, Zöllen und Diversifikation

Wöchentliche Kolumne vom 27.9.2025

Kolumne vom 27. September 2025

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Wöchentliche Kolumne vom 27.9.2025

Der Espresso ist noch heiß, während draußen Regen und Wind durch die Gassen peitschen. Irgendwie erinnert mich das an die Unterschiede in der Weltwirtschaft: In manchen Regionen gibt es hohe Wachstumsraten, in anderen Ländern hinkt man deutlich hinterher. Und Europa scheint den Turnaround nicht so richtig zu schaffen. 2025 ist irgendwie anders. Zu Jahresbeginn sah es so aus, als würde alles in geordneten Bahnen verlaufen. Doch es kam anders, als viele von uns gedacht haben. 2025 ist das Jahr des Umbruchs. Es ist wahrlich einiges passiert. Für den Kapitalmarkt war es herausfordernd – und dennoch zeigen die Performance-Zahlen vieler Investments oft ein ganz anderes Bild.

Wenn Handelspolitik Kreise zieht

Die OECD hat jüngst in einer Publikation darauf hingewiesen, dass die vollen Auswirkungen von Donald Trumps Zöllen erst bevorstehen. Schon jetzt drängen chinesische Produzenten, vom US-Markt ausgesperrt, mit ihren Waren nach Lateinamerika und andere Regionen. Dort wächst die Sorge um die heimische Industrie. Handelspolitik funktioniert wie eine Umleitung: Ist eine Route blockiert, weichen alle auf eine andere aus – und genau dort entsteht der Stau. Für Anleger heißt das: Handelskonflikte sind nie rein bilateral, sie strahlen global aus.

KI zwischen Euphorie und Rechnungsblock

Parallel dazu dominiert Künstliche Intelligenz die Schlagzeilen. Eine ChatGPT-Abfrage benötigt rund zehnmal so viel Energie wie eine Google-Suche. Bain & Company geht davon aus, dass die Branche bis 2030 rund zwei Billionen Dollar Umsatz benötigt, allein um den Hunger nach Rechenleistung zu finanzieren. Realistisch fehlen aber satte 800 Milliarden.

Die Machtverhältnisse scheinen klar verteilt, doch Herausforderer wie Huawei wollen Nvidia Marktanteile abnehmen. Am Ende will jeder ein Stück vom Kuchen. Nvidia verteidigt seine Position und investiert bis zu 100 Milliarden Dollar in OpenAI – inklusive Eigenkapital-Anteilen. Für Anleger zeigt sich das ganz praktisch: Wer einen globalen Tech-ETF hält, ist in diese Player ohnehin investiert.

In diesem Umfeld klettern die Märkte von einem Rekord zum nächsten. Der S&P 500 markierte bereits das 28. Allzeithoch des Jahres, Gold glänzt, und Bitcoin zeigte zuletzt wieder positive Performance. Aber für uns Euro-Investoren ist das nur die halbe Wahrheit – denn die Renditen werden meist in US-Dollar gemessen.

Diversifikation – der einzige Free Lunch

Die Euro/US-Dollar-Wechselkursentwicklung ist 2025 zum Spielverderber geworden. Noch vor wenigen Monaten hätten das die wenigsten erwartet. Uns Europäer interessiert letztlich nur die Performance in Euro – und da hat der Wechselkurs, sofern nicht abgesichert, eine tiefe Bremsspur hinterlassen.

Das betrifft nicht nur Investoren, sondern auch europäische Unternehmen, die in Dollar fakturieren. Hier zeigt sich für mich wieder einmal, warum Diversifikation mehr ist als ein Schlagwort. Breite Streuung im Portfolio hilft, solche Schieflagen auszugleichen. Und manchmal steckt das Plus dort, wo es kaum jemand am Radar hat: Der chinesische Aktienmarkt hat heuer außerordentlich gut performt. Für global aufgestellte Investoren war ein Investment in China das Sahnehäubchen auf der Performance-Seite. Wie heißt es so schön: Einmal der Gigel, einmal der Gogl – am Ende zählt nur das Gesamtergebnis.

Blick nach Süden

Ein kurzer Blick nach Argentinien zeigt, wie Kapital neue Wege sucht. Das Land hat Anleiheinvestoren über Jahrzehnte hinweg immer wieder überrascht. Auch jetzt kämpft es mit seiner Krise und sucht frisches Kapital. Die Weltbank stellt zusätzliche vier Milliarden Dollar bereit, eingebettet in ein größeres Hilfspaket. Für Anleger bedeutet das: Chancen entstehen nicht nur in New York oder Shanghai, sondern manchmal auch in Südamerika – immer verbunden mit Chancen und Risiken.

Fazit

Ob Zölle, Chips oder Milliardenpakete – Kapital ist nie statisch. Es fließt wie Wasser dorthin, wo neue Kanäle oder Möglichkeiten entstehen. Für uns Investoren heißt das: nicht alles auf eine Karte setzen, sondern breit gestreut dabei sein. Diversifikation ist der einzige Free Lunch. Und dieses Mittagessen lasse ich mir ganz bestimmt nicht entgehen.

PDF: Logbuch des Börsianers vom 27.9.2025

Logbuch-Serie: Kleine Zeitung

e-fundresearch: Börsenbarometer

FH JOANNEUM: Wöchentlicher Börsenbrief

von | Sep. 27, 2025

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Hinter ecobono stecken die ehemaligen Fondsmanager Kevin Windisch, Josef Obergantschnig und Daniel Kupfner. In diesem Blog wollen sie ihr Wissen, ihre Anlagestrategien und ihre Finanztricks mit Privatanlegern teilen.