Der Bär groovt über das glitschige Börsenparkett

Mein Espresso ist schwarz. Tiefschwarz sogar! Als ich in gewohnter Manier die Börsenkurse checke, passt sich meine Laune der Farbe meines Espressos an. Nun ist es so weit. Der Bär groovt über das glitschige Börsenparkett und reißt die Finanzmarktakteure in seinen Bann. Mich inklusive!

Wenn ein Index mehr als 20% vom Höchstwert einbüßt, spricht man von einem Bärenmarkt. Der amerikanische Leitindex S&P 500 hat seit Jahresbeginn mehr als 20% an Wert eingebüßt. Die technologielastige Nasdaq ist sogar mehr als 30% unter Wasser.

Außergewöhnlich an der aktuellen Korrektur ist, dass nahezu alle Asset-Klassen betroffen sind. Ganz egal, ob ein Investor sein Geld in Aktien, Anleihen oder Kryptowährungen investiert hat. Selbst Cash hat heuer ordentlich Federn lassen müssen. Zumindest wenn man bei den aktuellen Inflationsraten den realen Geldwert als Maßstab nimmt.

Die Fed hat am Mittwoch ein deutliches Zeichen gesetzt. Gemäß der Erwartungshaltung der nervösen Investoren hat die US-Notenbank den Leitzins um 0,75% auf die Spanne 1,50% bis 1,75% angehoben. Das ist zweifelsohne energisch und die größte Zinserhöhung seit 1994! Das Ausmaß und die Entschlossenheit mit der Fed-Chef Jerome Powell die davongaloppierende Inflation bekämpfen möchte, hat den einen oder anderen aber doch etwas überrascht. Die Inflationsrate hat im Mai ein Niveau von 8,60% erreicht – den höchsten Wert seit mehr als 40 Jahren! Powell erhöht den Einsatz. Im März waren es 0,25%, im Mai 0,50% und jetzt 0,75%. In Summe sprechen wir immerhin von 1,5% in drei Monaten! Es scheint, als würde das Inflationsgespenst dem lieben Jerome auch die eine oder andere schlaflose Nacht bereiten.

“Inflation kann man nicht wie einen Lichtschalter ein- und ausschalten.”

Damit gerät auch die EZB immer stärker unter Druck. Nach langem Zögern scheint es so, als würde die EZB-Präsidentin in der Sitzung am 21. Juli den Leitzins erstmals seit 11 Jahren wieder einmal um 0,25% anheben. Zur Erinnerung: Damals waren wir noch mitten in der Euro-Krise. Gut Ding braucht anscheinend Weile! Ich bin schon gespannt, wie lange sich die EZB noch dem Sogwasser der Fed entziehen kann. Des Sparers Freud, des Schuldners Leid!

Jeromes Zauberformel könnte wie folgt aussehen: Steigende Zinsen verteuern Kredite und sorgen damit dafür, dass weniger investiert wird. Die Konsumlaune von Privatpersonen und Unternehmen sinkt. Das wiederum schwächt die Nachfrage und führt zu einer abschwächenden Wirtschaftsdynamik. Den Preis eines Produktes bestimmen Angebot und Nachfrage. Wenn jetzt die Nachfrage sinkt, hemmt das auch die Preisentwicklung und in weiterer Folge auch die Inflation. So steht es zumindest im Lehrbuch!

In all den Jahren bin ich zur festen Überzeugung gekommen, dass man die Inflation nicht wie einen Lichtschalter ein- und ausschalten kann. Nicht einmal dann, wenn man Jerome Powell oder Christine Lagarde heißt.

Der Gift-Cocktail 2022 passt nicht so recht ins Lehrbuch. Wir erleben seit Ausbruch der Corona-Pandemie eine Abkehr der Globalisierungsdynamik und Lieferengpässe. Das umfasst nahezu alle Lebensbereiche und reduziert das Angebot signifikant. Darüber hinaus erleben wir seit dem Russland-Ukraine-Konflikt einen Energieengpass. Und als dritten Punkt möchte ich noch ins Feld führen, dass wir in einer Zeit des Fachkräfte-Mangels leben. All diese Faktoren wirken preissteigernd. Ob höhere Zinsen das ausgleichen können, wage ich aber zu bezweifeln. Jerome Powell hat diese Woche den Hauptschalter umgelegt. Ob er mit seiner Strategie auch wirklich richtig liegt, wissen wir, wenn das Licht angeht!

von | Jun 23, 2022

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